Der Maler Georg Frauenschuh, 1979 in Salzburg geboren, malt seit ungefähr zwei Jahrzehnten und er malt am liebsten ziemlich große Bilder. 2014 bekam er den Anton-Faistauer-Anerkennungspreis.

Georg Frauenschuhs Malerei, die je nach Schwankung und dem Diktat des subjektiven Empfindens zwischen figurativen und abstrakten Registern oszilliert und „Bad Painting“ gelegentlich in Erinnerung ruft, unterlag im Laufe der Zeit unterschiedlichen Ordnungsideen und ästhetischen Glaubenssätzen ihres Autors. Imaginäre Räume, Simulakren und Figuren, diverse Alltagsobjekte wie eine Gegensprechanlage oder eine offene Getränkedose bestimmen sein malerisches Vokabular. Zu erwähnen sind auch Zufallsabstraktionen und spontane Malgesten. Der Maler nimmt immer wieder bestimmte, manchmal symbolisch aufgeladene Motive aus dem Online-Bilder-Satz auf, nach Hito Steyerl sogenannte „arme Bilder“, welche dadurch charakterisiert sind, dass sie von Vielen gemacht und gesehen werden1. Frauenschuh wiederholt, verarbeitet oder verdoppelt solche Bilder manchmal auf seine Art und Weise, gibt sie erneut auf oder ersetzt sie mit neuen. Die der Wiederholung innewohnenden Momente der Dynamik, sowie das Prozedere ihrer Montage vermitteln (bei ihm) den Eindruck eines cineastischen Spektakels, das einem deterritorialen Kapitalismus gleicht. Frauenschuhs Gemälde sind demzufolge voller Action und reizender Überraschungen, sodass wir anstatt das schnell Festgehaltene zu memorieren, wie einmal Proust seine Madeleine, uns eher in die flatterige Zukunft geschoben fühlen. Die bereits erwähnte, in der Kunstwelt prominente Medienkünstlerin Hito Steyerl schrieb einmal, dass die populären, „armen Bilder“ ein Ausdruck oder eine Momentaufnahme der Befindlichkeit der Menge seien, ihrer Neurosen, Ängste und Paranoia, sowie ihrer Gier nach Intensität, Spaß und Zerstreuung. Etwas davon vermitteln eben auch die Gemälde von Georg Frauenschuh. Einige von seinen Motiven wie z.B. nackte oder halbbedeckte mit einheitlicher idealisierender Linie abgezeichnete Menschenfiguren, die comicartig anmuten und inmitten des Bildgeschehens erscheinen, häufig wie Eyecatcher fungierend, kehren auf seinen Leinwänden regelmäßig wieder. Was man auf den ersten Blick jedoch behaupten könnte, wenn man Frauenschuhs Großformate sieht, ist, dass der Maler die ererbten Visionen bzw. Leistungen der Malerei nicht negiert oder demontiert, sondern versucht, sie auszubauen, indem er psychologisch-affektive Strukturen und eine nahezu soziologische Haltung gegenüber widersprüchlichen Realitäten und nicht immer positiven Emotionen neben der eigenen Subjektivität mitbeachtet. Und dies in Zeiten der postmedialen Kondition der Malerei, in der sich diese der Techniken oder Bild-Entstehungsmethoden anderer Medien wie Fotografie, Fernsehen, Video oder Film bedient. In Zeiten, in denen nicht die Dauerhaftigkeit des Originals, sondern die Vergänglichkeit der Kopie kriterienhaft vorhanden ist.

Zum ersten Mal hatte der Aktionist und Anti-Maler Francis Picabia derartigen Spaß und Lust an fiktionaler Anordnung diverser Motive und Bilder aus verschiedenen alten und neuen visuellen und literarischen Quellen. Der mit der Zürcher und Pariser DADA Bewegung assoziierte Künstler französisch-kubanischer Herkunft, lebte im industriell-modernen New York. Picabia war ein berühmter Sonderfall der Moderne, weil er die Prinzipienlosigkeit der Malerei zum Wiedererkennungsmerkmal seiner wirkmächtigen Methode erhob und diese angriffslustig mit charmant eingefärbten Bonmots wie Ich würde gerne malen wie ich Auto fahre rechtfertigte. Er gilt auch als ankündigender Vertreter des bereits erwähnten „Bad Painting“.

Heutzutage mischt ein anderer Außenseiter und Sonderfall - so könnte man sagen - die westlich-postkoloniale Kunstwelt neu auf: Der kenianisch-britische Künstler und Maler Michael Armitage. Er ist keine 40 Jahre alt und seit der letzten Biennale in Venedig gilt er als Superstar der zeitgenössischen Malerei. In Großbritannien ist Armitage so populär, dass er die 1-Pfund-Münze neugestalten durfte. Armitages Malerei vereinigt Afrika mit Europa. Seine Sujets findet er oft in Kenia, seine Ausbildung erhielt er in London. In seinen Bildern vermischt der angesagte Maler spannend beide Kulturen, die europäische und die afrikanische. Er zitiert Vorbilder der ostafrikanischen Kunst, sowie die alten Meister der westlichen Kunstgeschichte. Seine Bilder malt er wie Rembrandt mit Ölfarbe, aber nicht auf Leinwand, sondern auf Lubugo, einem Tuch aus Uganda. Für Armitages Großformate werden mehrere Tücher mit Nähten, dick wie Narben, zusammengefügt. Dadurch liefern seine Gemälde die Versatzstücke, aus denen die Betrachter Geschichten weiterspinnen können – offen für viele mögliche Interpretationen in vielen verschiedenen Köpfen.

Ähnliche, freie Interpretationsansätze findet man auch in der Malerei von Georg Frauenschuh. Sie pulsiert eben im In-Between der Geographien, zwischen Europa und Amerika. Einen solchen Balanceakt zwischen und ein Synthetisieren dieser beiden kulturellen Gefilde kann man unter heimischen Malern nur bei Frauenschuh derart ausgeprägt nachvollziehen. Und, wenn seine Synthesen anschlagen, haben sie die Wirkung eines fulminanten Befreiungsschlags, weil der Maler diesbezüglich vor allem formal denkt. Es geht ihm um die Artikulation eines formalen Arguments. Dieses spielt sich in dieser Show nicht ausschließlich auf der Leinwand ab, sondern entwickelt sich auch in situ zwischen der Architektur, dem Raum-Display und der Malerei. Der Künstler betitelt seine Show in Gmünd simpel mit „Hang“, was hier sowohl auf Neigung und Präferenz verweist, als auch auf eine spezielle Hängung. In dieser Ausstellung hängen seine Bilder nicht klassisch an den Wänden, sondern von der Decke, und sie sind mit bemalten Ziegelsteinen am Boden befestigt, um einen geraden Winkel zu erhalten. Bei ihrer fantasievollen Ausstrahlung sind Fraunschuhs Bildwelten doch von dieser Welt. Sie sind ihr aber auch entwachsen.

Ästhetisch gesehen sind die Bilder von Georg Frauenschuh, wie die von Armitage, nicht einheitlich „clean“, sondern sie setzen sich aus mehreren additiven, im schnellen Schnitt-Rhythmus erfassten Schichten, schwungvollen Gesten, popartigen Zeichensetzungen und Mustern, Transparenzen und erweiterten urbanen Bildräumen zusammen. Seine Bildfantasien, wie filmische Bildmontagen oder Bildcollagen konstruiert, werden in die Sprache der klassischen Malerei übersetzt. Unterlagen für seine „Bildkollisionen“ liefern diverse Cliparts, selbstgeknipste Fotos, Stock-Fotografie, sowie auch Muster aus der Kunstgeschichte: Von de Chirico über Jana Euler bis Peter Doig. Insgesamt gewinnt man den Eindruck, dass es sich in Franueschuhs Malerei trotz aller Geometrie und Dominanz des Räumlichen doch vor allem um Ausdruck und Expression handelt, die manchmal sogar psychologisch eingefärbt scheinen. In diesem Sinne also ist dies ein „heimischer“ Ansatz mit einer langen Tradition (in Österreich). Von Oskar Kokoschka über Arnulf Rainer bis zu Gunther Damisch. (Bei dem letzten Künstler hat Frauenschuh studiert.)

Es gibt noch einen anderen internationalen Maler, den ich in diesem Zusammenhang erwähnen müsste: Im Jahr 1983 fand in München die gemeinsame Ausstellung von Francis Picabia und David Salle statt2. Picabia wurde plötzlich, viele Jahre nach seinem Tod, mit dem Aufkommen des Informationskapitalismus und der Wissenökonomie zur Pate-Figur einer jungen amerikanischen Künstlergeneration, eben auch von David Salle, dem berümtesten Vertreter der „New York School“, oder einer neuen Gegenständlichkeit in der Malerei. Salle bezog sich mit einer bekannten Werkgruppe direkt auf Picabias abstrakte und figurative Werkgruppen.
Der Amerikaner wiederum hat in seinen Bildern - auf seine originelle Art - mehrere einander überschneidende Motive, wie allerlei Zitate, Klassisches, Allegorisches und Epigonales und dekorative Muster zu einem modernen und eigentlich totgesagten Gesamtkunstwerk montiert und verwebt. Er legte besonderen Wert auf die Anordnung der Bildelemente in seinen Kompositionen: genauer auf ihr Nebeneinander oder Übereinander. Einmal wirkten seine Bilder flächendeckend wie ein Foto, ein anderes Mal waren sie durchsichtig wie eine Zeichnung. Bei Frauenschuh verhält sich die Anordnung der Bildelemente dagegen etwas anders: In der Konsequenz seiner vielfältigen Bildmontagen wirken sie einmal wie eine spontane, expressiv-gestische Malerei oder, wenn der Künstler mehrere Zeichenansätze umsetzt, erwecken sie, zumindest zum Teil, den Eindruck unterhaltsamer Comics. Ebenso, wie die Vielfalt der Assoziationskontexte, grenzte sich Salles Kunst von Anfang an stark von den figurativen Gemälden seiner zeitgenössischen Künstlerkollegen, wie etwa Eric Fischl oder Julian Schnabel, ab. Ähnlich hebt sich die Malerei von Georg Frauenschuh (von Anfang an) von der Kunst seiner Wiener Malerkollegen ab. Zum Beispiel durch ihre Erotik und ihre Sexappeal-Momente, übernommen aus der amerikanischen Popkultur. Darüber hinaus schafft Frauenschuh eine Narration aus der Multiperspektive, in der sich Avantgarde und neokonservative Tradition nicht ausschließen, wie er selbst erwähnt. Die Bedeutungssuggestion, falls sie in seinen Bildern zu erkennen ist, besteht, wie ein Dissens versus den Antagonismus, aus vielen Meinungen und Überzeugungen, die sich selbst und ihre vielfältigen Erkenntnissformen dabei stets so verorten, dass die Grenze zwischen Figuration und Abstraktion, eigentlich durch ihre Fiktionalisierung, verwischt wird. Das Echte (bzw. das Original) bleibt fast nie bestehen und wie Peter Sloterterdijk in der „Kritik der zynischen Vernunft“ bemerkte, das Schöne gibt es hier noch zu den billigen Preisen. (Die „hohe Kunst“ der ästhetischen Moderne lieferte dagegen bloß „vergiftete Pralinen“ und zog sich seit mehr als hundert Jahren ins Tragisch-Komplexe bzw. in die breite Unverständlichkeit zurück.) Trotzdem drängen sich hier und dort Fragen unserer Zeit auf: Nach Entfremdung, Bedeutungslosigkeit, Leere oder Verlust von Authentizität und Originalität. Das könnte auch der Fall sein, wenn man die hauptsächlich urbanen Bildräume in Frauenschuhs Bildern und die darin orientierungslos wandelnden, kunstvoll platzierten oder manchmal auch mittendrin versteckten, nackten Figuren (Simulakren) zu sehen bekommt oder sie während der zerstreuten Betrachtung entdeckt. An dieser Stelle gibt es noch eine, diesmal literarische, Referenz, die mir in den Sinn kommt: Ein Protagonist aus der bekannten Erzählung Peter Handkes „Kurzer Brief zum langen Abschied“, der den riesigen amerikanischen Kontinent, ohne allzu große Befriedigung daraus zu ziehen, durchquert. Handkes Held möchte mehr sein als nur ein Mensch, „der bloß öffentliche Einrichtungen nutzt, durch die Straßen läuft, in Busse steigt, in Hotels wohnt oder auf Barhockern rumhängt“. Seine Erzählung ist daher ein Anti-Roman und Anti-Krimi mit vielen literarischen und filmischen Referenzen. Wie in den Filmen von Wim Wenders sind alle enthaltenen Zitate und Verweise hier natürlich nicht zufällig und heben die Dilemmata hervor, die unser Held erlebt. Ich erwähne hier Peter Handke, weil er als einer der ersten Autoren der Referenzen gilt und Frauenschuh möchte, wie er unlängst in einem Interview erklärte, seine Bilder ebenso in Verbindung und als lockeres Spiel mit der Sprache verstanden wissen, d.h. einige Zustände wie Verzweiflung oder seelische Vorgänge malerisch übersetzen. Das Erfrischende an den Großformaten von Georg Frauenschuh ist nichtsdestotrotz ihr befreiender, antiautoritärer Impuls, der insbesondere die Populärkultur der USA auszeichnete. Ihr Einfluss auf Europa in der Nachkriegszeit hat vor allem in Deutschland die Demokratisierungsprozesse beschleunigt, auch jene der Kunst. Die amerikanische Popkultur wurde und ist bis heute relevant im Lichte eines andauernden kulturellen Modernisierungsprozesses, der sich neurdings um das Erbe der digital-virtuellen Realitäten erweiterte. Die amerikanische Kultur brachte uns Europäern beipsielsweise die Reduktion von Pathos und Subjektivität zugunsten des sogenannten Kunstgenusses oder des schönen Scheins, der wiederum den Subversionsfaktor in unserer Gesellschaft immens ausdehnte und zugleich auch schwächte. An dieser Stelle kann man die Aussage von Andy Warhol herbeizitieren, dass in Zukunft jede/r von uns 15 Minuten berühmt sein würde. Das Anliegen von Frauenschuhs Malerei scheint diesbezüglich ebenso die ikonischen und konzeptuellen Qualitäten des malerischen Bildmediums und seinen Bezugsrahmen im Sinne des übernationalen Modernisierungsprozesses zu hinterfragen, um damit die Selbstverwirklichung für jeden/jede von uns anzupeilen. Figurativ oder abstrakt, inszeniert oder idealisiert? Unikat oder reproduzierbare Serie, Entscheidung oder Zufall, Integration oder Distanz, Widerstand oder Aneignung? Sowohl das eine als auch andere? Das System dieser pluralistisch und wechselhaft auftauchenden Perspektiven und Referenzen schafft bei dem österreichischen Maler eine analoge Ebene zur Wirklichkeit, die sich aus Artefakten und menschlichen Erzeugnissen konstituiert und eine emotionale Verbindung zur Gegenwart sucht.

  1. Vergl: Hito Steyerl, In Verteidigung des armen Bildes, in: RiCHOCHET#3, Publikation anlässlich der Ausstellung 22. Juli - 26. September 2010, Museum Villa Stuck, Kerber Verlag Bielefeld, 2010, S. 34–42 ↩︎

  2. David Salle/Francis Picabia, Katalog, Schellmann&Klüser, München, 1983 ↩︎